Oliver Hankeln

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In der Firma haben wir uns Google Glass gegönnt, um mal damit rum zu spielen und vielleicht Ideen zu generieren, was man damit cooles machen kann.

Jetzt war ich dran, Glass mal mit nach Hause zu nehmen und aus zu probieren. Hier also mein Fazit nach 2 Tagen testen:

Zuallererst war ich überrascht, wie bequem die Brille doch ist. Die ganze Technik hängt ja auf der rechten Seite und ich hatte damit gerechnet, dass diese Asymmetrie Glass unbequem machen würde, aber das ist nicht der Fall. Ich würde es zwar bevorzugen, wenn die Technik auf beide Seiten verteilt wäre, aber das ist nicht wirklich schlimm. Alleine, dass der rechte Bügel weit nach hinten hinters Ohr übersteht ist ein bisschen nervig, wenn man den Kopf weit dreht oder wenn man eine Kapuze trägt.

Ausserrdem irritiert die Displayeinheit, die immer am Rand des Gesichtsfeldes hängt, wenn man Glass nicht benutzt. In etwa wie eine Haarsträhne, die einem ins Gesicht hängt.

Die Einrichtung von Glass ist mit der MyGlass App schnell und problemlos erledigt. Ich habe das mit meinem Galaxy S5 getestet, aber auch die Kollegen mit ihren Apfeltelefonen haben das hinbekommen. Um Glass zu nutzen braucht man natürlich einen Google-Account, aber das ist ja kein besonderes Hindernis.

Schon beim Einrichten macht sich allerdings unangenehm bemerkbar, dass der Bildschirm sehr weit oben im Gesichtsfeld hängt. Man muss sehr deutlich nach oben schauen, ob da was zu sehen. Auf Dauer führt das zumindest bei mir zu leichten Kopfschmerzen. Ausserdem schauen Glass Nutzer, die gerade aufs Display sehen aus, als würden sie Stimmen hören und seien komplett abgedreht. Aber wie ein Zombie wird man in der S-Bahn auch angesehen, wenn man Glass nur trägt aber nicht nutzt.

Sprachbefehle in der Öffentlichkeit sind auch irgendwie nicht sozialadäquat, aber selbst wenn einem das egal wäre, hat die Spracherkennung schon bei mittlerer Umgebungslautstärke so ihre Probleme. Man wird Glass also meistens mit dem Touchpad steuern, wofür man dann doch wieder eine Hand braucht.

Neue Apps (Glassware) wird über die MyGlass App installiert. Das funkioniert gut und schnell. Bisher gibt es aber so wenig Glassware, dass es noch nichtmal Kategorien in der Glassware Gallery gibt. Mal sehen, was noch so alles kommt.

Internet bezieht die Brille entweder über WLAN (eingerichtet wird das am besten wieder über die MyGlass App) oder via Bluetooth vom Handy. Bluetooth hat bei mir stabil funktioniert, der WLAN-Empfang war eher mittelmässig. Glass hat auch viel weniger Netze gesehen als mein Handy oder ein Notebook. Vermutlich ist in dem Gehäuse einfach kein Platz für eine vernünftige WLAN-Antenne.

Was kann man jetzt mit Glass machen?

Gute Frage. Irgendwie noch nicht wirklich viel:

  • Bilder und Videos aufnehmen geht zwar. Die Qualität erinnert aber an die ersten Handykameras. Ich hatte gehofft, dass wir da mittlerweile weiter wären. Ausserdem ist das Zielen nicht einfach. Die Kamera schaut zwar da hin, wo man normalerweise hinsieht, aber wenn man den Viewfinder nutzen will, muss man wieder so komisch nach oben schauen und dann fühlt sich das sehr seltsam an, weil die Kamera dann in eine andere Richtung schaut als man selbst. Ohne Viewfinder fotografieren ist wie Schnappschüsse aus der Hüfte machen. Man kann Glück haben, muss man aber nicht. Die Bilder wirken insgesamt flau und kontrastarm. Nachher kommen Beispiele.
  • Die Navigation funktioniert ordentlich. Leider ist die Spracherkennung noch nicht auf Deutsch eingestellt, weshalb man einige Versuche braucht, bis Glass einen Strassennamen korrekt versteht. Das wird aber sicher besser sein, sobald Glass auch offiziell in Deutschland zu haben ist. Aber auch hier ist der Bildschirm wieder zu weit ausserhalb des Gesichtsfelds angebracht. Ich würde mir eigentlich ein AR overlay wünschen, aber so ist es so wie mit dem klassischen Autonavi. Entweder ich schaue auf die Strasse oder auf das Display, beides gleichzeitig im Blick zu behalten geht nicht.
  • Musikhören ist ein schlechter Witz. Die Idee, Schall per Knochenleitung zu übertragen ist witzig und für Signaltöne und auch für gesprochene Rückmeldungen zu den Kommandos ist das auch qualitativ überzeugend, aber von Musikgenuss kann keine Rede sein.
  • Die Star Chart App ist toll gemacht, ich glaube aber, dass die wieder das Problem hat, dass der Bildschirm ausserhalb des normalen Blickfeldes ist. Das konnte ich aber nicht testen, weil das Wetter jetzt schon so lange schlecht ist, dass ich mich kaum noch an Sterne erinnern kann.
  • Musixmatch ist sowas wie Shazam, zeigt aber auch laufende Lyrics zu den Songs an. Wenn die Musik erkannt wurde funktioniert das gut, manchmal braucht die Software aber auch 2 oder 3 Anläufe.

Bildvergleich

Hier noch ein paar Bilder im direkten Vergleich zwischen Google Glass und dem Galaxy S5. Abgesehen von den Nummernschildern sind die Bilder nicht nachbearbeitet. Da weder mein Kopf noch mein Handy einen Stativanschluss hat sind die Perspektiven nur annähernd identisch. Die Bilder wurden unmittelbar nacheinander aufgenommen.

Sonstiges

Zum Thema schlechtes Wetter fällt mir noch ein, dass ich mir schon bei Nieselregen immer Sorgen um Glass gemacht habe und die lieber weggepackt habe. Ich bin wirklich froh, dass mittlerweile die Handys wasserdicht sind. Ein 1500$ Gerät im Gesicht, das nicht nass werden darf macht in Dubai sicher mehr Sinn als in good ol‘ Germany. Mein Anspruch an Wearables ist, dass sie meinen Lebensstil mitmachen. Klar kann ich nicht jedes Gadget zum Paddeln mitnehmen, aber wenn ich schon bei (leider) normalem Wetter in der Fussgängerzone Angst um mein Spielzeug habe, schmälert das den Spass doch ganz erheblich.

Ansonsten ist die Akkulaufzeit ziemlich mau, aber am Anfang spielt man natürlich immer besonders viel mit den Gadgets herum. Bei mir hat der Akku ca. 3-4 Stunden durchgehalten. Aber auch bei mäßiger Nutzung kann ich mir nicht vorstellen, dass der Akku mehr als einen halben Tag hält. Zwischendurch wird Glass auch gerne zu heiss und drosselt dann die Geschwindigkeit zum abkühlen.

Mein Fazit

Glass ist eine schicke Spielerei, und Wearables haben sicher viel Zukunft. Was ich mir von einer Brille aber wünsche ist ein AR-Overlay über die Realität, und nicht ein Bildschirm, der immer unbequem halb ausserhalb des Gesichtsfeldes liegt. Die Bildqualität bei Fotos und Videos ist für mich inakzeptabel. Im Moment kann man alles Sinnvolle, was man Glass machen kann auch mit einer SmartWatch machen. Also: Zurücklehnen, Hype kommen sehen, Hype gehen sehen und auf die nächste Generation an Hightechbrillen warten.

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