Oliver Hankeln

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Im gegenwärtigen Durcheinander aus Angriffen auf Wikileaks und Gegenangriffen der Unterstützer der Seite wird meiner Meinung nach die wichtige Frage nach Wikileaks‘ Zukunft vernachlässigt.

Klar ist, dass eine Seite wie Wikileaks nützlich und notwendig ist. Ohne die Seite wüssten wir weiterhin nicht, dass Visa und Mastercard über die US-Botschaft in Russland Einfluss auf die dortige Gesetzgebung nehmen wollten und scheinbar als kleinen Dank an die US-Regierung die Weiterleitung von Spenden an Julian Assanges Enthüllungsplattform eingestellt haben.

Wir wüssten nicht, dass Hillary Clinton an die Kreditkartendaten ausländischer Spitzenpolitiker kommen will, genausowenig wie der Druck der US-Regierung auf verbündete Staaten, wenn es um die Verfolgung – oder eben: nicht-Verfolgung von Verbrechen der CIA geht, bekannt wäre.

Wikileaks hat sehr deutlich gezeigt, dass das auch dem Grundgesetz zugrunde liegende Misstrauen dem Staat gegenüber, auch in demokratischen Systemen weiterhin notwendig und richtig ist. Wenn wir unseren Regierungen vertrauen könnten, dann bräuchten wir Wikileaks nicht – aber dann gäbe es die Seite mangels Material auch nicht.

Wir können also festhalten, dass gerade in demokratischen Staaten, die ja auf informierte Bürger angewiesen sind, um zu funktionieren, eine Möglichkeit, Missstände öffentlich zu machen, von geradezu existentieller Bedeutung ist.

Aber leider: auch Wikileaks ist nicht perfekt. Was als Projekt einer Gruppe von Idealisten begann, entwickelt sich immer mehr zu einer Organisation, die um die Person Julian Assange kreist (weshalb ich oben auch bewusst von seiner Plattform gesprochen habe). Deutlich wird dies zum Beispiel, wenn Assange auf interne Kritik so reagiert:

Ich bin Herz und Seele dieser Organisation, dessen Gründer, Philosoph, Sprecher, erster Programmierer, Organisator, Geldgeber und noch alles weitere

und weiter:

Wenn du ein Problem mit mir hast, dann verpiss dich.

Aber unabhängig von Assange, den ich nicht persönlich kenne, weshalb meine Einschätzung auch weit von der Realität entfernt sein kann, ist jede Konzentration auf eine Person aus mehreren Gründen abzulehnen.

Erstens macht eine solche Person das Projekt angreifbar. Viele Netzbürger nehmen im Moment an, dass die Vergewaltigungsvorwürfe (die in Deutschland wohl eher auf sexuelle Nötigung lauten würden) durch die CIA fingiert wurden, um Assange in die Finger bekommen zu können. Ob das so ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen, aber offensichtlich ist: ohne eine zentrale Person an der Spitze, die teilweise schon messianische Züge trägt, wäre ein solche Komplott vollkommen sinnlos. Genausowenig, wie ein einzelner krimineller Wikipedia-Admin die Wikipedia als Ganzes diskreditieren würde, genausowenig würde eine Enthüllungsplattform Schaden nehmen, wenn sich einer der Mitarbeiter schuldig gemacht hätte.

Der zweite, gewichtigere Grund, warum zentrale Figuren vermieden werden sollten, ist prinzipieller Natur. Egal, wer diese zentrale Person ist, die schiere Existenz eines Koordinators führt dazu, dass eine einzelne Person mehr Macht hat, als sie haben sollte und birgt damit auch die Gefahr von Machtmissbrauch. Ich denke, dass man auch schon Anzeichen von Machtmissbrauch bei Assange erkennen kann.

Zum Beispiel ist Assange der Meinung, eine „Lebensversicherung“ zu benötigen (was in weniger herausgehobener Stellung nicht nötig wäre) und hat deshalb eine 1,4GB  grosse, verschlüsselte Datei, die im Netz verteilt wird. Im Falle seines Ablebens wird der zugehörige Schlüssel angeblich automatisch veröffentlicht. Das Problem damit ist der Inhalt der Datei: entweder er ist von öffentlichem Interesse und es ist legitim die Informationen offenzulegen, dann verstösst es gegen die Ziele der Platform, diese Daten zurückzuhalten. Oder es ist illegitim, die Daten zu veröffentlichen, dann ist es verantwortunglos, die Veröffentlichung anzudrohen und noch verantwortungsloser, die Veröffentlichung an ein Ereignis zu koppeln, dass auch ganz ohne CIA-Mitwirkung eintreten kann. Der einzig mögliche, ethisch einwandfreie Inhalt ist Inhalt, der nicht als Druckmittel geeignet wäre – die Datei wäre also ein grosser Bluff. Dann hätte Assange seine Karten wirklich sehr gut gespielt.

Weiteres Anzeichen eines Machtmissbrauchs ist die mangelnde Transparenz, was die Verwendung von Spendengeldern angeht. Ich weiss nicht, ob Assange Gelder in vorwerfbarer Weise verwendet und will das auch gar nicht behaupten, aber jede seriöse, durch Spenden finanzierte Organisation hat einen öffentlichen Rechenschaftsbericht abzulegen, damit jeder (potentielle) Geldgeber kontrollieren kann, was mit den Spendengeldern passiert. Wenn eine Organisation keinen solchen Bericht vorlegen kann oder will, dann führt das nach meiner Erfahrung üblicherweise sehr schnell dazu, dass die Gelder nicht mehr (nur) für die ursprünglichen Zwecke eingesetzt werden.

Mein Fazit ist also, dass wir eine Plattform wie Wikileaks brauchen, auf der Informationen, die illegitimerweise geheim gehalten werden sollen, veröffentlicht werden können. Ich glaube aber auch, dass Wikileaks mit seiner starken Fixierung auf Assange nicht die richtige Plattform ist. Meine Hoffnungen liegen momentan auf Openleaks. Das ist eine (bisher nur angekündigte) Plattform, die von ehemaligen Wikileaks-Mitarbeitern gegründet wurde und die die Fehler, die bei Wikileaks gemacht wurden, vermeiden wollen. Dort sollen insbesondere auch die Personen, die Informationen leaken, die Kontrolle über die Veröffentlichung behalten, was den Quellenschutz, der in letzter Zeit bei Wikileaks gelitten hat, auch wieder auf solidere Beine stellen würde – und natürlich verhindern würde, dass eine zentrale Person zuviel Macht erhält.

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